9
Sep
2008

Ada Christen

Christen

Noth

All euer girrendes Herzeleid
Tut lange nicht so weh,
Wie Winterkälte im dünnen Kleid,
Die bloßen Füße im Schnee.

All eure romantische Seelennot
Schafft nicht so herbe Pein,
Wie ohne Dach und ohne Brot
Sich betten auf einen Stein.

Christine Lavant

Christine-Lavant-2

Sind das wohl Menschen?

Sind das wohl Menschen? - Wie man das vergißt!
Sie werfen Schatten vor den Sonnenbaum,
sehr grobe Schatten und - sie haben Stimmen.
Wie sonderbar: - ich glaub, sie hießen "Männer".
Männer? - Ein Mann? - und kam der Aufschrei "Liebe"
nicht gleich danach und Schmerz, nicht wahr, mein Traumbuch,
Schmerz sagtest du sehr lange, fort und glitzernd,
Bänder von Schmerz wie Schienen zu den Menschen.
Dann kamen Tiere, große dunkle Tiere,
in die man einstieg, weil ihr Kopf so heulte,
und innen sagte jemand dann: "Wir fahren!"
Die, die sich Mädchen nannten, saßen flüsternd
nah beieinander, und es klang wie Laubfall,
wenn sie erzählten, daß ihr Liebster warte.
"Liebster" - was ist das -, geht rasch vorüber,
läßt es sich fassen, ohne Schmerz zu machen,
und bleibt an einem hinterher dann etwas
wie Blütenstaub und ein Geruch verhaftet
oder vergeht daran nur das Gefühl für gestern?
Ein Traumkraut also? - Sicherlich - ein Traumkraut!
Man hätte niemals davon kosten dürfen,
ehe man heimging in die liebe Erde,
heim zu den Zwiebelchen.

Werner Bergengruen

bergengruen

Leben eines Mannes

Gestern fuhr ich Fische fangen,
Heut bin ich zum Wein gegangen,
- Morgen bin ich tot -
Grüne, goldgeschuppte Fische,
Rote Pfützen auf dem Tische,
Rings um weißes Brot.

Gestern ist es Mai gewesen,
Heute wolln wir Verse lesen,
Morgen wolln wir Schweine stechen,
Würste machen, Äpfel brechen,
Pfundweis alle Bettler stopfen
Und auf pralle Bäuche klopfen,
- Morgen bin ich tot –
Rosen setzen, Ulmen pflanzen,
Schlittenfahren, fastnachtstanzen,
Netze flicken, Lauten rühren,
Häuser bauen, Kriege führen,
Frauen nehmen, Kinder zeugen,
Übermorgen Kniee beugen,
Übermorgen Knechte löhnen,
Übermorgen Gott versöhnen –
Morgen bin ich tot.

Rolf Haufs

Rolf-Haufs

Glückliche Zeit

Wer ein Haus hat wird bleiben
Wir aber haben kein Haus
Wir werden umherirren unter den Augenblicken
In der flockigen Wolke des Abends
Mit einer Tasche und mit einem Grammophon
Unter den Straßenbahnschaffnern
Unauffällig in der Verkleidung eines Fahrgasts
Was kann noch kommen danach
Nichs ist zu verbergen als ein Foto
Aus glücklicher Zeit
logo

Meine kleine Bibliothek

Aktuelle Beiträge

James Clarence Mangan
The Nameless One Roll forth, my song, like the rushing...
Halbe Frau - 18. Mär, 20:58
Heinrich von Kleist
Mädchenrätsel Träumt er zur Erde, wen Sagt mir,...
Halbe Frau - 28. Okt, 01:01
Bertolt Brecht
An die Nachgeborenen 1 Wirklich , ich lebe in finsteren...
Halbe Frau - 18. Mär, 01:03
Federico García Lorca
Die Morgenröte Die New Yorker Morgenröte hat vier...
Halbe Frau - 30. Mär, 01:36
Heinrich Heine
Childe Harold. Eine starke, schwarze Barke Segelt...
Halbe Frau - 30. Mär, 01:33

Web Counter