18
Sep
2012

Paul Heyse

Heyse

Das Hundegrab auf Oxia
Ein Mahnruf

Ein kahles Eiland in der Meereswüste
Von Menschen unbewohnt, da nicht ein Quell
Hervorbricht aus dem starren Felsengrund,
Der Nahrung böte einem Grashalm nur,
Indes die Sonne südlich hohe Glut
Herniedersendet. So Jahrtausendlang
Stand allgemieden, trostlos, wie verfemt
Die Klippe da.
Doch heute, wer im Boot
Der Insel naht – auf einmal staunend sieht
Sein Aug' ein wimmelnd Leben dort am Strand,
Wo einst des Todes Schweigen nur geherrscht.
Und Grauen wird das Staunen, wenn er sieht:
Was dort sich regt, ist schauriger als Tod,
Der Wohltat wär' den Unglückseligen,
Verdammt zu langsamen Verschmachtens Qual,
Ein Schicksal, das dem schlimmsten Mörder nicht
Verhängt das härtste Strafgesetz.
Wer sind
Die Jammervollen? Was verbrachen sie?
Unschuld'ge sind's, hier grausam eingepfercht
Von Menschen, die unmenschlich sind, denn gut
Und edel sei der Mensch, indessen sie
Vergaßen aller Güte, da es hier
Nur Tiere gilt, und für die Folterung
Von armen Hunden keine Rechenschaft
Zu geben ist am Tage des Gerichts!

Wohl! Überhandnahm, nicht zu dulden mehr,
Die Hundeplage, die des Sultans Stadt
Gemacht zu räudiger Streuner Tummelplatz,
Wohl durften endlich ihres Herrenrechts
Die Menschen sich bedienen, notgedrängt.
Doch dann auch, wenn es Selbsterhaltung gilt,
Geziemt Erbarmen. Der Gerechte, heißt's
Im heil'gen Buch, erbarmt sich seines Viehs.
Und wenn auch der Prophet kein solch Gebot
Der Milde seinen Gläubigen eingeschärft,
Hat er sein Pferd und seine Katze doch
Zärtlich geliebt, und in der Notwehr wohl
Hätt' er den scharfen Stahl auch auf ein Tier
Gezückt, doch es dem Tode nie geweiht
Durch marterndes Verdursten, obdachlos
Dem Brand der Sonnenpfeile ausgesetzt,
Bis es die Wut befällt und brechend sich
Der Blick der schwachen Kreatur, die gern
Den Freund im Menschen sieht, verzweiflungsvoll
Zu seinem Henker hebt.
Wohl ist die Welt
Noch heut der Greuel voll, die Menschen auch
An Menschen üben. Doch ein letzter Trost
Bleibt den Verzweifelnden, wenn übergroß
Die Qual ward, mit freiwilligem Entschluß
Sie enden, was versagt ist dem Geschöpf,
Das ach, vernunftlos, doch nicht seelenlos
Sich knechtisch beugen muß dem blinden Recht
Des Stärkern.
Also in der Zeitung stand
Die Mär vom Hundegrab in Oxia.
Wohl niemand, will ich glauben, hätt' er auch
Für diesen treuen Spiel- und Leidgefährten
Des Menschen sonst kein Herz, konnt' ungerührt
Die Kunde lesen des Entsetzlichen,
Das hier nicht blöde Roheit einzelner,
Nein, kalte Staatsweisheit verordnet hat,
Zur Schmach dem ganzen Volk, das drein sich fügt.
Doch, die es schaudernd lasen, fühlten sie
Sich tiefer aufgeregt, als wenn sie sonst
Von einem Unglück hörten: Daß im Berg
Verschüttet wurden arme Häuer, daß
Ein Schiff mit aller Mannschaft untersank,
Die Pest vieltausend Menschen hingerafft,
Was einzig blinder Elemente Schuld?
Und keinem fiel es ein, daß täglich hier
Ein unerhörter Frevel wird verübt,
Den stumm mit anzusehn, das Herzblut ihm
Empören sollte? Wirken segensreich
In unsrer Stadt und in den Ländern rings
Vereine zu gequälter Tiere Schutz,
Und geht von keinem, keinem ein Protest
Bis hin zum goldnen Horn, da solchen Gräul
Zu dulden, dem Jahrhundert Schande macht?

Noch will ich hoffen. Doch was kommen soll,
Geschehe bald, bevor die Todesqual
Des letzten Opfers diese Christenwelt
Verklagt, die das Gebot der Liebe kennt,
Und doch so lässig übt die heil'ge Pflicht
Der Menschlichkeit!

2
Jan
2012

Jesse Thoor

Jesse

In einem Haus

In einem Haus, auf feinem Tannenreiser,
sitzen ein Bettelmann und ein Kaiser.
Beide summen und lachen und trinken
und reden laut und leise und winken.
Ein volles Jahr rollt über das Dach.
Ein volles Jahr rollt über das Dach.

24
Dez
2011

Wolfgang Borchert

Borchert3

Die drei dunklen Könige

Er tappte durch die dunkle Vorstadt. Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel. Der Mond fehlte, und das Pflaster war erschrocken über den späten Schritt. Dann fand er eine alte Planke. Da trat er mit dem Fuß gegen, bis eine Latte morsch aufseufzte und losbrach. Das Holz roch mürbe und süß. Durch die dunkle Vorstadt tappte er zurück. Sterne waren nicht da.

Als er die Tür aufmachte (sie weinte dabei, die Tür), sahen ihm die blassblauen Augen seiner Frau entgegen. Sie kamen aus einem müden Gesicht. Ihr Atem hing weiß im Zimmer, so kalt war es. Er beugte sein knochiges Knie und brach das Holz. Das Holz seufzte. Dann roch es mürbe und süß ringsum. Er hielt sich ein Stück davon unter die Nase. Riecht beinahe wie Kuchen, lachte er leise. Nicht, sagten die Augen der Frau, nicht lachen. Er schläft.

Der Mann legte das süße, mürbe Holz in den kleinen Blechofen. Da glomm es auf und warf eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer. Die fiel hell auf ein winziges rundes Gesicht und blieb einen Augenblick. Das Gesicht war erst eine Stunde alt, aber es hatte schon alles, was dazu gehört: Ohren, Nase, Mund und Augen. Die Augen mussten groß sein, das konnte man sehen, obgleich sie zu waren. Aber der Mund war offen, und es pustete leise daraus. Nase und Ohren waren rot. Er lebt, dachte die Mutter. Und das kleine Gesicht schlief.

"Da sind noch Haferflocken", sagte der Mann. "Ja", antwortete die Frau, das ist gut. Es ist kalt. Der Mann nahm noch von dem süßen, weichen Holz. Nun hat sie ihr Kind gekriegt und muss frieren, dachte er. Aber er hatte keinen, dem er dafür die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte. Als er die Ofentür aufmachte, fiel wieder eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht. Die Frau sagte leise: "Kuck, wie ein Heiligenschein, siehst du?" "Heiligenschein!", dachte er, und er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte.

"Dann waren welche an der Tür. Wir sahen das Licht", sagten sie, vom Fenster. Wir wollen uns zehn Minuten hinsetzten. Aber wir haben ein Kind, sagte der Mann zu ihnen. Da sagten sie nichts weiter, aber sie kamen doch ins Zimmer, stießen Nebel aus den Nasen und hoben die Füße hoch. Wir sind ganz leise, flüsterten sie und hoben die Füße hoch. Dann fiel das Licht auf sie. Drei waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer einen Sack. Und der dritte hatte keine Hände. Erfroren, sagte er, und hielt die Stümpfe hoch. Dann drehte er dem Mann die Manteltaschen hin. Tabak war drin und dünnes Papier. Sie drehten Zigaretten. Aber die Frau sagte: Nicht, das Kind. Da gingen die vier vor die Tür, und ihre Zigaretten waren vier Punkte in der Nacht. Der eine hatte dicke umwickelte Füße. Er nahm ein Stück Holz aus einem Sack. Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran geschnitzt. Für das Kind. Das sagte er und gab es dem Mann. "Was ist mit den Füßen?", fragte der Mann. "Wasser", sagte der Eselschnitzer, vom Hunger. "Und der andere, der dritte?", fragte der Mann und befühlte im Dunkeln den Esel. Der dritte zitterte in seiner Uniform: "Oh, nichts", wisperte er, da sind nur die Nerven. Man hat eben zu viel Angst gehabt. Dann traten sie die Zigaretten aus und gingen wieder hinein.

Sie hoben die Füße hoch und sahen auf das kleine schlafende Gesicht. Der Zitternde nahm aus seinem Pappkarton zwei gelbe Bonbons und sagte dazu: "Für die Frau sind die."

Die Frau machte die blassen Augen weit auf, als sie die drei Dunkeln über das gebeugt sah. Sie fürchtete sich. Aber da stemmte das Kind seine Beine gegen ihre Brust und schrie so kräftig, dass die drei Dunklen die Füße aufhoben und zur Tür schlichen. Hier nickten sie nochmal, dann stiegen sie in die Nacht hinein.

Der Mann sah ihnen nach. Sonderbare Heilige, sagte er zu seiner Frau. Dann machte er die Tür zu. Schöne Heilige sind das, brummte er, und sah nach den Haferflocken. Aber er hatte kein Gesicht für seine Fäuste.

Aber das Kind hat geschrien, flüsterte die Frau, ganz stark hat es geschrien. Da sind sie gegangen. "Kuck mal, wie lebendig es ist", sagte sie stolz. Das Gesicht machte den Mund auf und schrie.

"Weint er?", fragte der Mann.

"Nein, ich glaube, er lacht", antwortete die Frau.

"Beinahe wie Kuchen", sagte der Mann und roch an dem Holz, wie Kuchen. Ganz süß.

"Heute ist ja auch Weihnachten", sagte die Frau.

"Ja, Weihnachten", brummte er, und vom Ofen her fiel eine Handvoll Licht auf das kleine schlafende Gesicht.

24
Jun
2011

HEL

Hel

W enn das SCHLIEMANN aus ist dann
I st das LSD im hades
R ollt des ökospießers fades

B unt heran: no way no sun
L aßt nur eure hiwis machen
E ure zivis laßt nur los
I hr zieht kuckuckskinder groß
B rühheiß wird’s wenn die erwachen
E twas buckelt sich und bockt
N achts wenn ihr in totsanierten

A ufgemotzt modernisierten
L uxuskalten häusern hockt
L äden runter spinnen: webt
E in gespenst geht um: das lebt

Hel Toussaint, 2005

25
Mrz
2011

Joachim Ringelnatz

Ringelnatz3

Frühling

Die Bäume im Ofen lodern.
Die Vögel locken am Grill.
Die Sonnenschirme vermodern.
Im übrigen ist es still.

Es stecken die Spargel aus Dosen
Die zarten Köpfchen hervor.
Bunt ranken sich künstliche Rosen
In Faschingsgirlanden empor.

Ein Etwas, wie Glockenklingen,
Den Oberkellner bewegt,
Mir tausend Eier zu bringen,
Von Osterstören gelegt.

Ein süßer Duft von Havanna
Verweht in ringelnder Spur.
Ich fühle an meiner Susanna
Erwachende neue Natur.

Es lohnt sich manchmal, zu lieben,
Was kommt, nicht ist oder war.
Ein Frühlingsgedicht, geschrieben
Im kältesten Februar.

(Bild: Albert Schindehütte, Ringelnatz)

25
Dez
2010

Erich Kästner

Kaestner3

Weihnachtslied, chemisch gereinigt

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Straßen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen –
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit …
Ach, du liebe Weihnachtszeit!

26
Nov
2010

Friedrich Schiller

Schiller2

Die Worte des Glaubens

Drei Worte nenn' ich euch, inhaltsschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur giebt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht an die drei Worte glaubt.

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren;
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Thoren.
Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.

Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben;
Und sollt' er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Beständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob Alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.

Die drei Worte behaltet euch, inhaltsschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde;
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Inneres giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang' er noch an die drei Worte glaubt.


Die Worte des Wahns

Drei Worte hört man bedeutungschwer
Im Munde der Guten und Besten.
Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,
Sie können nicht helfen und trösten.
Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
So lang' er die Schatten zu haschen sucht.

So lang' er glaubt an die goldene Zeit,
Wo das Rechte, das Gute wird siegen, -
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüsten frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.

So lang' er glaubt, daß das bulende Glück
Sich dem Edeln vereinigen werde.
Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick,
Nicht dem Guten gehöret die Erde.
Er ist ein Fremdling, er wandert aus,
Und suchet ein unvergänglich Haus.

So lang' er glaubt, daß dem ird'schen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen,
Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand,
Wir können nur rathen und meinen.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Drum edle Seele, entreiß dich dem Wahn
Und den himmlischen Glauben bewahre!
Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor,
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.

(Gedankengedichte, vierter Teil)

28
Okt
2010

Theodor Storm

Storm

Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.
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