9
Sep
2014

Georg Heym

georg_heym

Der Krieg

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

24
Jul
2014

Carl Namyslo

Künstler des Lebens

Künstler des Lebens,
Du Streiter ums Glück,
blicke nur vorwärts,
nie schaue zurück.
Vergiß der Deinen
unselige Qual,
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Spielt dir das Leben
dereinst bitter mit,
schreite stets vorwärts,
verhalt nie den Schritt.
Nach schweren Hürden
in großer Anzahl
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Wenn Dir die Liebe
das Glück auch versagt,
noch scheint die Sonne,
drum niemals verzagt.
Rinnen die Träume
hinüber ins All,
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Steht dann am Ende
der Schnitter vor Dir,
sei ihm nicht böse,
verschließ nicht die Tür.
Er mähet schließlich
doch allüberall.
Sprich nur mit Lächeln:

- Ich war einmal -

12.9.49

16
Jun
2014

François Villon

villon

Eine kleine Ballade von dem Mäuslein
das in Villons Zelle Junge bekam

Es schwamm der Mond in mein Gemach hinein,
weil er da draußen so allein
bei den entlaubten Bäumen stand.
Ich habe ihm ein Kissen hingerückt,
damit er ruhen konnte, und er tats beglückt
sich untern Kopf. Ich legte ihm die Hand
schnell auf die Augen, und da schlief er auch.
Mich aber plagte schlechte Luft im Bauch.

Sie plagte mich, bis eine Uhr schon zwölfe schlug.
Da hatte ich verdammt genug
und ließ sie ab, die Luft. Davon ist zwar
der Mond nicht aufgewacht, doch in dem Fenstereck
die Mäusefrau. Sie hat im ersten Schreck
geboren, was noch gar nicht gar nicht fällig war.
Die kleinen rosa Schnauzen piepsten da so nett,
dass ich sie zu mir nahm ins warme Bett.

Mein Gott, die lütten Dinger, noch ganz nackt
und blind: Wie hat das Elend mich gepackt!
Ich glaub, dass mir was Nasses in die Augen kam.
Dabei hat manches Mädchen schon von mir
ein Kind gekriegt und starb vor Scham.
Die armen Würmer aber kuschten sich
in meine Hand, als wäre ich ihr Vater Mäuserich.

Zuletzt war auch die Mäusefrau so zahm
geworden, dass sie schwänzelnd zu mir kam.
Die schwarzen Augen glänzten froh und gross
in mein Gesicht hinein.
Und plötzlich war ich auch so mäuseklein
wie dieses Tier und nahm es in den Schoß.
Ich habe wohl die ganze Nacht mit ihr verbracht
und an kein andres Weib dabei gedacht.
Nachgedanken:

Im milden Licht der Winternacht
hab ich mich zu den Mäusen aufgemacht.
Du aber fragst, warum denn nur?
Hör zu, es ist kein Tier so klein,
das nicht von dir ein Bruder könnte sein.

Nachdichtung: Paul Zech

15
Dez
2013

Hertha Kräftner

Kraeftner

Wer glaubt noch...

Wer glaubt noch,
daß uns drüben Korallenbäume erwarten,
und Vögel, die das Geheimnis singen
und ab und zu die beinernen Schnäbel
ins rosa gefärbte Wasser tauchen,
und daß man uns abholen wird
zu Gerüchen
nach aufgebrochenen Mandelkernen
und den weißen Wurzeln seltener Pflanzen?
Ach, der Tod wird nach Pfeffer
und Majoran riechen,
weil er vorher im Laden beim Krämer saß,
der am silbrigen Schwanz
eines Salzherings erstickte.

17
Nov
2013

Heinrich Heine

Heine

Childe Harold.

Eine starke, schwarze Barke
Segelt trauervoll dahin.
Die vermummten und verstummten
Leichenhüter sitzen drin.

Todter Dichter, stille liegt er,
Mit entblößtem Angesicht;
Seine blauen Augen schauen
Immer noch zum Himmelslicht.

Aus der Tiefe klingt’s, als riefe
Eine kranke Nixenbraut,
Und die Wellen, sie zerschellen
An dem Kahn, wie Klagelaut.

(Bild: Moritz Daniel Oppenheim)

29
Jul
2013

Eduard Mörike

Moerike

Der Feuerreiter

Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewühle
Bei der Brücke, nach dem Feld!
Horch! das Feuerglöckchen gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle

Schaut! da sprengt er wütend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle
Rennt er schon und ist am Ort!
Drüben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle

Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
Mit des heilgen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen
Weh! dir grinst vom Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Rast er in der Mühle

Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borst in Trümmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewühle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Glöckchen klinget aus:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt's

Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mütze
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen:
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt die Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Mühle

19
Mrz
2013

Lars van Core

lars

montag = transenjedichttag

dedicated 2 all druffies - eine Ode an die Berliner Clubkultur

Transenjedicht

"Contenangse" sprach die Transe,
als sie mit Dreitagebart
montags vor die Clubtür trat -
Löcher in der Feinstrumpfhose,
dicke Eier, welke Rose,
Titten, Pickel, Lippenstift,
anjesoffen und bekifft,
das Toupet total versifft,
trat sie uff den Zebrastreifen,
fing an Passanten anzukeifen,
als ne Taxe stehenbleibte
und sich die Transe einverleibte.

"Junge Frau, wo wollnse hin –
ick nehm mal an hier in Berlin
gibt’s noch wo ne Afterhour
mit Taxifunk sind wir gleich schlauer"

Die Transe pampig, indigniert
Widerstand signalisiert’:
"Ick will nach Hause, warme Brause,
ich brauch drei Klingen von Gillette
und anschliessend erst mal ein Bett"

"Nüscht jibts" funkt da der Einsatzleiter,
"Ihr beiden reist jetzt erst mal weiter,
einmal um die Ecke fahr’n,
da steht ne Pumperglatze aus Marzahn"

Der Kunde wirklich riesengross,
breit, druff - riss türe offen,
selber schien er ooch besoffen
sprang fast der Transe auf den Schoss
und brüllt’ den Fahrer an "Fahr los!
Es geht um Leben oder Tod,
mach hinne, sonst wird da vorn die Ampel rot!"

Die Transe, eh sie janz verzagte,
an ihren rot lackierten Nägeln nagte -
der Fahrer trat uff Gaspedal,
die Ampel war ihm scheissejal.
"Keen Problem" meint’ er und grinste
als er schelmisch in den Spiegel linste.
"Geht schon los hier, geht gleich weiter
immer munter rauf und runter -
keene Bange, wird gleich noch bunter"

Nun wie bestellt, doch reichlich schicker
einsteigte noch nen Teileticker
Pupillen wie zwee Plattenteller,
uff 45 oder schneller
kreisend aber jut gelaunt,
dass sogar die Transe staunt’.

Er frech zum Piloten von der Taxe:
"Lass mich raten, du heisst Maxe?"
Der fahrer: „Keene doofen Witze,
schnallt euch bitte in die Sitze!
By the way, my name is Fritze !!!"

"Alter, ihr habt doch ooch nen Ding zu loofen,
ick war grad eben Pillen koofen,
ick hab hier ooch noch watt zu ziehn,
wir sind hier schliesslich in BERLIN !!!"

"Jib her!" wird gleich der Pumper munter,
"und ooch ne Bunte für die Tunte!"

die Transe eh es eskalierte,
wirkte scheinechauffiert,
als sie den Mitsubishi konsumierte:
"Meinetwegen, gleich ist Schluss,
ick will nach Hause, nein ich muss!!"

Nun zweifelnd an dem Sinn der Reimung,
der Dichter, nicht der Transe Meinung,
selber in die Taxe kroch,
wobei er stark nach Fahne roch
jammert’, meckernd eingeschnappt:

"Seid froh, dass überhaupt was klappt,
das ist schliesslich meine Dichtung,
und ich bestimme hier die Richtung!

Jahre musste ich studieren,
ein halbes Leben recherchieren,
und tausend Wege eruieren,
um euch durch dit Jedicht zu führen!"

Der Pumper unverständig pampig
fand nun den Dichter samt der Transe schlampig:
"Bitte tut mir een Jefallen,
und stottert doch nicht so beim Lallen,
haltet endlich mal die Klappe,
und schmeisst euch lieber noch ne Pappe!"

Doch plötzlich als die Pillen schiebten
sich alle übelst ins Jedicht verliebten:

Die Welt ist bunt – das Leben schön,
wer will da schon nach Hause gehen?

"Kuck mal ne Electroschnitte
Die kommt bestimmt aus Helle-Mitte!"

Der Ticker: "Ditt is ooch ne Nette,
die traf ich neulich uff der Unisextoilette"

Daneben stand noch ne Bekannte
Die der Pumper Nancy nannte:
"Krass, sind die stylish uffjepimpt -
Ick gloob, dass jetzt die Richtung stimmt!"

Dahinter eine Clubtür gähnt, nein winkt!

Fritze bremste, macht’ ne wende,
"die Fahrt ist hier für euch zu ende!
Macht sechsfuffzig und viel Glück!
Dit Gedicht geht noch n Stück!"

Nämlich bis die Transe ungeniert
Mit den andern in den Club marschiert’
und zwar noch immer unrasiert!
Das entschied kein Richter,
sondern icke war’s, der Dichter !!!

18
Mrz
2013

Kitty Hawk

Kitty2

More than luxury

Scheißt doch die Stadt zu mit euren Lofts aus der Hölle
reißt die Mauer ab, haut Hotelketten an ihre Stelle
räumt den Wagenplatz, es muss Platz für die Townhouses her
vergesst nicht die Kack-Malls, gebt uns mehr davon, mehr

Verkauft doch den Görli, der ist so Unterschicht
holt die Bagger, gebt dem Drecksloch ein neues Gesicht
wir wär's mit Summer Residencies im Urban Living-Ambiente?
und aufs Penthouse ein Yoga-Spot für die After Work-Momente

Rotzt doch jedes Ufer voll mit eurem Fickpissbeton
macht die Clubs dicht, die versifften, der Investor wartet schon
ganz Berlin soll so aussehn wie der Potsdamer Platz
ein Ort aus der Konserve, nur zum Shopping gemacht

Rauf mit den Mieten, da ist viel Luft nach oben
und wer das nicht mehr zahlen kann, tja - unbekannt verzogen
das ist kein Ponyhof, mein Freund, das nennt sich Wohnungsmarkt
und wenn Du da nicht mitspieln kannst, dann zieh doch nach Marzahn

Ja, baut das olle Schloss auf, das ist so schön gediegen
Starbucks gleich im Kaiserreich, das muss man einfach lieben
die Lücken der Geschichte, die füllt mit Stahl und Glas
DDR-Architektur - Diktatur - ... war das was?

Scheißt doch die ganze Stadt zu mit the dawn of luxury
wir wollen auch ein Carport, wir wollen Mediaspree
Leben heißt jetzt Lifestyle und scheußlich heißt jetzt schön
und da wo ihr gentrifiziert wird alles gleich aussehn

Kündigt dem Gemüsehändler seinen Mietvertrag
Pferdegenfleisch aus der Dose gibt's auch im Supermarkt
schmeißt die Kita, schmeißt den Videomann, schmeißt die Blumenfrau raus
komm spar Dir deine Nostalgie, die Straße ist gekauft

Wer trauert schon der Hauptstadt der Hundescheiße nach?
guck an - all das Potential - hier liegt die Zukunft brach
Deine Wohneinheit wird jetzt zur Wellness-Oase
ach was - ohne Dich? - fass Dir mal an die eigne Nase

Wohnst Du noch oder investierst Du schon?
darfst Du überhaupt hier sein - wie hoch ist denn Dein Lohn?
andre baun hier Utopien - und Du? Machst Kunst und hartzt
die Stadt ist nicht für alle da, Du hast den Schuss verpasst

Komm, scheißt doch die Stadt zu mit den Lofts aus der Hölle
reißt die Mauer ab, haut Hotelketten an ihre Stelle
räumt den Wagenplatz, es muss Platz für die Townhouses her
vergesst nicht die Kack-Malls, gebt uns mehr davon, mehr

Gebt uns mehr!
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