31
Dez
2016

Federico García Lorca

Lorca1

Die Morgenröte

Die New Yorker Morgenröte
hat vier Säulen aus Morast
und Orkane schwarzer Tauben,
die in den Kloaken plätschern.
Die New Yorker Morgenröte
stöhnt auf endlos langen Treppen,
stöbert zwischen Häuserkanten
nach den Narden schemenhafter Angst.
Die Morgenröte kommt, doch kein Mund nimmt sie auf,
denn dort ist gar kein Morgen und keine Hoffnung möglich.
Die Münzen sammeln sich in räuberischen Schwärmen
und durchbohren gierig das Fleisch verlassener Kinder.
Die ersten, die hinausgehn, spüren in den Knochen:
kein Paradies wird kommen, kein Liebesblatt mehr fallen;
und sie erwartet ein Morast aus Zahlen, Normen,
fruchtloser Schweiß und Spiele ohne Kunst.
Schon ist das Licht begraben unter Lärm und Ketten,
schamlos bedroht von Wissen ohne Wurzeln.
Menschen wanken schlaflos durch die Straßen
wie eben erst entronnen aus blutig rotem Schiffbruch.

4
Jun
2016

Bettina Arnim

Bettina3

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist's, worin sich hier der Sinn gefällt?

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nichts ist's, was mir den Blick gefesselt hält.

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Und könnt ich Paradiese überschauen,
Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.

13
Mai
2015

Marcus Brühl

Marcus

wir wollen
die sterne

feiern
so wie
sie fallen

jeder wunsch
ein fest

26
Feb
2015

Erich Fried

Fried

Zu guter Letzt

Als Kind wusste ich:
jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde

Einmal von mir gerettet
muss keines mehr sterben
alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis

Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
das ist Unsinn
keines wird kommen
ich überlebe sie alle

Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch vielleicht zwei oder drei?

11
Sep
2014

Mihai Eminescu

eminescu_shadow

Sonette I

Draußen ist Herbst; verstreuten Laubes Schaum.
Der Wind wirft Tropfen gegens Fenster schwer.
Aus alter Post in brüchigem Couvert –
was steigt da auf in einer Stunde kaum!

So gibst du süßen Nichtigkeiten Raum;
an deiner Türe klopfe nirgendwer ...
Doch schöner noch, bei Schnee und Eis umher,
am Feuer sitzen, übermannt vom Traum.

Vom Traum, der mir in die Gedanken greift:
Die Fee des Märchens, Dochia, steigt hernieder,
indes ein dichter Nebel mich umschweift.

Das Rauschen eines Kleides hör ich wieder,
gelinden Schritt, der kaum die Diele streift;
und dünne Hände decken meine Lider.

(nach Geraldine Gabor)

9
Sep
2014

Georg Heym

georg_heym

Der Krieg

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

24
Jul
2014

Carl Namyslo

Künstler des Lebens

Künstler des Lebens,
Du Streiter ums Glück,
blicke nur vorwärts,
nie schaue zurück.
Vergiß der Deinen
unselige Qual,
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Spielt dir das Leben
dereinst bitter mit,
schreite stets vorwärts,
verhalt nie den Schritt.
Nach schweren Hürden
in großer Anzahl
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Wenn Dir die Liebe
das Glück auch versagt,
noch scheint die Sonne,
drum niemals verzagt.
Rinnen die Träume
hinüber ins All,
sprich nur mit Lächeln:

- Es war einmal -

Steht dann am Ende
der Schnitter vor Dir,
sei ihm nicht böse,
verschließ nicht die Tür.
Er mähet schließlich
doch allüberall.
Sprich nur mit Lächeln:

- Ich war einmal -

12.9.49

16
Jun
2014

François Villon

villon

Eine kleine Ballade von dem Mäuslein
das in Villons Zelle Junge bekam

Es schwamm der Mond in mein Gemach hinein,
weil er da draußen so allein
bei den entlaubten Bäumen stand.
Ich habe ihm ein Kissen hingerückt,
damit er ruhen konnte, und er tats beglückt
sich untern Kopf. Ich legte ihm die Hand
schnell auf die Augen, und da schlief er auch.
Mich aber plagte schlechte Luft im Bauch.

Sie plagte mich, bis eine Uhr schon zwölfe schlug.
Da hatte ich verdammt genug
und ließ sie ab, die Luft. Davon ist zwar
der Mond nicht aufgewacht, doch in dem Fenstereck
die Mäusefrau. Sie hat im ersten Schreck
geboren, was noch gar nicht gar nicht fällig war.
Die kleinen rosa Schnauzen piepsten da so nett,
dass ich sie zu mir nahm ins warme Bett.

Mein Gott, die lütten Dinger, noch ganz nackt
und blind: Wie hat das Elend mich gepackt!
Ich glaub, dass mir was Nasses in die Augen kam.
Dabei hat manches Mädchen schon von mir
ein Kind gekriegt und starb vor Scham.
Die armen Würmer aber kuschten sich
in meine Hand, als wäre ich ihr Vater Mäuserich.

Zuletzt war auch die Mäusefrau so zahm
geworden, dass sie schwänzelnd zu mir kam.
Die schwarzen Augen glänzten froh und gross
in mein Gesicht hinein.
Und plötzlich war ich auch so mäuseklein
wie dieses Tier und nahm es in den Schoß.
Ich habe wohl die ganze Nacht mit ihr verbracht
und an kein andres Weib dabei gedacht.
Nachgedanken:

Im milden Licht der Winternacht
hab ich mich zu den Mäusen aufgemacht.
Du aber fragst, warum denn nur?
Hör zu, es ist kein Tier so klein,
das nicht von dir ein Bruder könnte sein.

Nachdichtung: Paul Zech
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